Im Vorfeld der Produktion wurden Marlene Dietrich und Gary Cooper für die Hauptrollen von Stagecoach gehandelt, am Ende wurden es die vergleichsweise unglamouröse, doch warmherzige Claire Trevor und der third-row-actor John Wayne, und der erhielt von allen neun Charakteren, die in oder auf der Postkutsche (amerik. stagecoach oder einfach stage) nach Lordsburg reisen, mit 3.700 $ dann noch die geringste Gage.
Und doch hat Wayne alias Ringo (“the Kid”) nach einer guten Filmviertelstunde one of the most stunning entrances in all of cinema (Edward Buscombe). Da steht er plötzlich, mit einem Pferdesattel am linken und einem Gewehr am rechten Arm, und ruft den Kutschern auf dem Bock sein Hold it! zu. Wie überrascht fährt die Kamera auf den Wegelagerer in der klassischen amerikanischen Einstellung zu, in der man soeben die Colts noch sieht, um für einen Moment den Fokus zu verlieren und endlich beim Porträt anzukommen.
Ford liebte Bilder; die sich unmittelbar mitteilen – Metaphern, Symbole, komplizierte Syntagmen gibt es bei ihm eher nicht; auch eilt ihm der Ruf voraus, direkt “in der Kamera” zu montieren und den Schneidetisch nie aufgesucht zu haben. Immerhin überließ er hier dem Gestaltungswillen seines Chefkameramanns Bert Glennon freien Lauf. Wenn Fords späterer Western The Searchers (1956) so etwas wie die Sixtinische Kapelle der Technicolorfilms darstellt, dann entspricht Stagecoach in seinem expressiven Schwarzweiß dem graphischen Chiacoscuro eines Meisterblatts von Rembrandt.
Eine seltsam zusammengewürfelte Gruppe kommt in der Kutsche zusammen, um in 90 Filmminuten zwei Tage Realzeit auf einer Reise miteinander zu verbringen: ein meist betrunkener Doktor ist dabei und ein verschüchterter Schnapshändler, ein betrügerischer Banker wie die hochschwangere Offiziersfrau, die von einem gebrochenen Südstaaten-Gambler hofiert und beschützt wird; hinzu kommen eine nicht mehr erwünschte Hure und eben Ringo, der die Reisegruppe bald komplettiert. Jeder Charakter hat seine back story, die im Lauf der Reise enthüllt und erweitert wird; dabei geht es um Entwicklungen, die jeweils auf die Differenz von Respektabilität im Falschen, Äußerlichen zu in actu verdienter Wertschätzung verweist. Dallas, aus der Stadt gejagt von einer karikierten weiblichen League of Decency, nimmt die größte Entwicklung, Ringo muss sich noch durch einen Racheakt von einem Joch befreien. Erst dann sind beide auch frei füreinander, losgelöst von den blessings of civilization, wie das berühmte Fazit des Films lautet.
Eine Romanze in der Gestalt eines Western? Das auch, und doch: weit gefehlt. Phänomenologisch ist Stagecoach eine Reise ins Unbekannte der menschlichen Psyche unter größter Belastung ebenso wie in äußerlich feindliches Gelände. Es kann kein Zweifel darüber herrschen, dass es Ford hier (noch) nicht um die Sache der Indianer ging, auch wenn er mit den Navajos, die hier Apachen spielen, befreundet war. Sie sind eins mit der Landschaft, in der knapp neunminütigen Actionsequenz gegen Ende fallen sie anonym wie Blätter von den Bäumen. Ford ging es um größtmögliche Abseitigkeit für seine Bühne menschlicher Affekte. Dafür fand er ein abgelegenes Hochtal nah der Grenze von Arizona zu Utah, zum Zeitpunkt des Drehs 290 Kilometer vom nächsten Bahnhof entfernt. Was uns als Monument Valley, die Hymne von The Magnificent Seven und den Duft des Marlboro Country so geworden vertraut ist, war 1939 nichts anderes als Indianerland, dessen bizarre Felsformationen Namen wie Yei-Bi-Chei, King-on-his-throne, Big Chair und Totem Pole trugen. Mit ihrer Hilfe erfand Ford die Landschaftsmalerei noch einmal, in all ihrer fremden Erhabenheit und mit maßstäblich doch ziemlich kleinen Menschen.
Filmhistorisch mag man Stagecoach als Beginn des Erwachsenenwesterns nehmen oder als irgendeinen anderen Grenzstein. Es ist wahr, Wayne ist nicht mehr wie ein Operettencowboy ausgestattet, und es gibt Anspielungen auf die Wirtschaftskrise nach dem New Deal, doch realistisch ist der Film deshalb noch lange nicht: allein auf der fotografischen Ebene gibt es jede Menge Tricks, von denen am meisten verblüfft, dass keiner der Hauptakteure außer John Wayne je im Monument Valley gewesen ist, auch nicht am Muroc Dry Lake in Kalifornien, wo der Rest der Außenaufnahmen entstand: Alles ist Bühne, das meiste Studio. Andererseits legte Ford soviel Wert auf authentische Action wie Buster Keaton. Der Oberstuntman Yakima Canutt ließ sich tatsächlich vom Leitpferd aus unter die Kutsche fallen, die dann über ihn rollt; auch das sprichwörtliche fording a river, einen reißenden Fluß (hier: mit einer Kutsche) zu queren, war Canutts Beitrag.
Unterm Strich ist Stagecoach noch mehr moral tale als ein Western. Ein Lehrstück, verkleidet in einen kleinen, feinen Genrefilm, und damit Ausweis der vielleicht größten Stärke Hollywoods: Einerseits größtmögliche Offenheit selbst für Intellektuelle bereit zu halten – Orson Welles soll den Film 40mal gesehen haben, ehe er Citizen Kane drehte –, doch vor allem absolut zugänglich für sogenannte einfache Menschen zu sein.