FILMTIPP #92: FILMISCH REISEN (2). DEM UNWOHLSEIN AUF DER SPUR.

Bild: Screenshot

Schauplätze waren wichtig für Alfred Hitchcock. In seinen Filmen haben sie einen ei­genen Charakter, werden zu Mitspie­lern und kenntlich fast wie ein Mensch. Je­der Film ent­wickelt so seine Physiognomie. Bekannte Bauwerke, die Hitch­cock ger­n ins Bild rückte, repräsentieren nicht, sondern wirken in oft ver­stö­render Dimension auf verun­sicher­te Menschen. Aufgabe des aktiven Zu­schau­ers ist es, aus den hinwei­sen­den Zeichen im Lauf des Sehens und mit Hilfe der im­mer zuerst kog­nitiv orien­tier­ten Per­zep­tion sein eigenes, erlebtes Bild und damit die entscheiden­de emo­tio­nal road map zu ent­wickeln.

Wenn er z.B. Holland zeige, bedeute das Windmühlen und Regenschirme, hat Hitchcock ge­sagt. Doch die Bilder von Foreign Correspondent (1940) sind alles an­dere als Post­kar­ten, dazu entwickelt sich die Geschichte zu schräg. Ins Extrem ge­trie­ben hat Hitchcock sein Prinzip der beunruhigenden Umgebung in North by North­west (dt. Der Unsicht­bare Dritte, 1959), ein Film der selten unlogisch daherkommt und doch als Klas­siker gilt. Die Hand­lung springt von der Ostküstenmetro­pole mit dem UN-Gebäude hinaus in die fla­che Land­schaft des Midwest, wo in einer Wüstenei der be­rühm­te Angriff durch ein Klein­flugzeug ge­schieht, um dann an den steinernen Köpfen des Mount Rushmore zu en­den; als Bonus noch der letzte Match-Cut hin­ein ins Schlafwagenabteil, wo Held und Hel­din in einer wiederum unwahrscheinlichen, befremdenden Idylle zusammenkommen.

Hitchcocks lange Hollywood-Phase von 1939 bis Mitte der 60er Jahre entspricht einem Pro­duktionsmodus, der – nicht zuletzt dank der Vorstöße des englischen Meisters in Sa­chen Rück­projektion, Modelle, Bildkombinatorik – die naturalistische Einsehbarkeit der Bil­der zu­gun­sten erzählter, “falscher” Panoramaen verkaufte.

Es brauchte europäische Anstöße, um Hollywood vor der Blockbuster-Ära, die 1980 be­gann, etwas näher an ein realistisch-nachvollziehbares Bild zu bringen. Amerikanische Filme zuhauf hatten sich dem Mythos gewidmet, das Amerikaner besonders in­te­res­siert: die Ver­einigten Staaten von Amerika. Mit der Generation des New Holly­wood ka­men dann auch ge­brochene Autobiographien des Landes zum Vorschein: Bogdano­vichs Last Pic­ture Show (1971) etwa, die vom Nichtwegkommen aus dem eigenen Nest handelt, oder das De­büt von Terrence Malick, Badlands (1973), das den Preis des Abhauens nennt.

Die Badlands sind unruhige Erdoberflächen, die durch Erosion ihr Aussehen stetig ver­ändern. Sie weisen Kämme und Täler auf, sind teils gefärbt und bieten Film- und Foto­kameras potentiell spektakuläre Motive. Einzelne Western und Film noirs hatten sich dieser Motive bereits bedient und sie gern in eine Flucht­ge­schichte ein­gebettet; al­lein oder zu zweit, dann Mann und Frau, den Topos gab es im amerikani­schen Kino schon länger. Auch das Laszive zwischen den Geschlechtern ist nicht neu, dagegen das Zögern, dann die zunehmende Distanz von Holly (Sissy Spa­cek) zu Kit (Martin Sheen). Es ist, als sähen die Beiden dem Wachsen des eigenen Mythos zu und entfremdeten sich dabei. Als Film arbeitet sich Badlands an Bonnie and Cly­de ab, vier Jahre zuvor von Arthur Penn inszeniert, genauso brutal, aber stilisierter und das Gang­ster­paar am Ende geradezu feiernd. Robert Warshow hat in einem berühmten Essay gezeigt, wie der “Gangster als tragischer Held” zum Teil des amerikanischen Selbstverständnis­ses wurde.

In Malicks Film herrscht eine andere Tonlage. Kit wirft nach seiner Verhaftung Ge­gen­stände in die Menge, als hätte er Fans, seine Verhaftung unterschreibt er wie ein Pop­star ein Fanfoto. Das kommt nicht mehr heldenhaft daher, sondern zynisch. Äußerlich ist Kit an James Dean angelehnt, mit gefönter Tolle und weißem T-Shirt über den Levis’. Aber die Unschuld des Aufbegehrens ist verloren. Als Charakter skiz­zierte der studierte Philosoph Malick einen Existen­zialisten, der sich auf dem Weg zum Abgrund weiß, diesen Weg aber in die Länge zieht und mit einer fünf­zehn­jährigen Freun­din, ge­klauten Cadillacs und vor allem massenweise sinnloser Gewalt garniert.

Die Reise führt von einer kleinen Stadt in South Dakota nach North Dakota und von hier aus in die Badlands von Montana. Die Kamera von Takashi Fujimoto arbeitete sich an deren Oberflächen unvergleichlich ab – Erde, die keinen Halt mehr bie­tet. Soil ist eine amerikanische Grundmetapher; Malick hat sie zur Chiffre für den Kampf des Men­schen mit seiner inneren Bestimmung wie kein anderer ausgeweitet, von Days of Hea­ven (1978) bis A Hidden Life (2019), über einen unbeug­samen Nazi­gegner. Das Land, die eigene Scholle, wie es früher einmal hieß, als Gegenspieler. “Keep pu­shin’ til its under­stood / And these badlands start treating us good” (Bruce Springsteen).

 

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