FILMTIPP #74: GRIZZLY MAN VON WERNER HERZOG (USA 2005).

Bildquelle: Schreenshot

Werner Herzog hat einen bevorzugten Protago­nisten: den Mann, der sich zu Höherem beru­fen fühlt und da­bei einem inneren Dämon folgt. Das be­gann mit dem Debüt Le­bens­zei­chen (1967) und hatte ein Hoch­pla­teau in den fünf Fil­men, die Her­zog mit Klaus Kinski zwischen 1972 und 1987 rea­lisier­te. Als Nach­klapp, als Hom­mage an den 1991 verstorbenen Kinski lieferte Her­zog noch das viel­sa­gen­de Porträt Mein liebster Feind (1999). Die­ser Film eröff­nete auch dem F!F-Pub­likum den Blick auf einen Schau­spieler, der genau als solcher eher limi­tiert war, der nicht so viel mehr konnte als das, was er dauernd tat und was er wiede­rum konnte wie kein anderer: Sein Anderssein möglichst offensiv bis agres­siv zu demonstrieren. Kins­ki ist am Ende wohl weniger als Indivi­duum zu ­wer­ten denn als ein Phä­no­men der deut­schen Ge­schichte: ein verletzter, verlorener, bis zuletzt unversöhnt gebliebener Sohn. Grizzly Man, das Por­trät eines Bären­fanatikers, setzt die be­schrie­bene Wahl des typischen Her­zog-Protagoni­sten nahtlos fort und hat dazu eine dokumen­tarische Basis.

Die Geschichte hat sich wirklich zugetragen. Medientheoretisch aus­ge­spro­chen, gab es die Referenz dieser Bilder in der Rea­lität. Das ist nicht unwich­tig, weil Herzog diese Realität sehr fil­misch erwei­tert. Daran ist ein Geheim­nis des Filmischen an sich zu verste­hen.- Zu­r Ge­schichte: Ti­mothy Tread­well, Typ kalifornischer Sunnyboy, öfters schon gescheitert, fährt 13 Sommer je­weils für vier Monate nach Alaska, um eine Po­pula­tion dort le­bender Grizz­ly­bären zu “be­schüt­zen”. Am Ende der letzten Sai­son, am 5. Oktober 2003, wird Treadwell zusammen mit seiner Ge­fähr­tin Amy Hugue­nard von einem Bären ge­tötet; die Lei­chen werden teils gefres­sen. Herzog begann die Auf­ar­bei­tung dieser Tragödie an­hand des Vi­deo­ma­te­rials, das der Bärenmann hin­ter­ließ, und füg­te Inter­views und Rekon­struk­tionen hinzu. Das Gesamt­ver­hält­nis des Materials ist etwa 58% Anteil Treadwell, 38% Herzog, 4% TV-Material. Damit ergibt sich eine aufschlussreiche Differenzierung, die zu gene­ra­lisieren ist: die psy­cho­lo­gische Motivation des Protagonisten (ob „do­ku­mentarisch“ oder er­fun­den, macht am Ende keinen Unter­schied), die künstlerische Legiti­ma­tion des Filmemachers, das oft sensations­heischende Interesse des breiten Publikums.

Es ist leicht, Treadwells Behauptung, die Tiere zu schützen, als verzwei­fel­ten Ruf nach Anerkennung zu deu­ten, und schwie­ri­ger, Her­zogs Hand­habung des Materials von Treadwell zu be­wer­ten. Der Regisseur tritt seriös auf als Inter­vie­wer, er besucht El­tern und Freun­dinnen und verlässt so den Pfad des Deu­ters mytischer oder skurriler Wel­ten, den er in seinen dokumen­ta­rischen Essays wie kaum ein zweiter Filmema­cher ausgetre­ten hat. Doch schon die baju­war­isch-rau­nende To­nalität seiner Stimme weist in eine andere Richtung. Auch kann er man­chen Trick nicht lassen. So im Gespräch mit einer Freun­din Tread­wells: Herzog über­reicht ihr die Kassette mit dem angebli­chen Sound­track der letz­ten Mi­nu­ten des Bärenschützers. Er nimmt ihr das Ver­sprechen ab, die Kas­sette nie jemand anders hören zu lassen. Was darauf zu hö­ren ist, erfah­ren wir nicht. Das setzt natürlich die tollsten Phantasien frei.

Ein Film, der polarisiert – nicht zuletzt die F!F-Zuschauer. Einige haben den improvi­sierten Kinosaal von Grizzly Man vorzeitig verlas­sen, nicht nur, weil es im Herbst in der leer­ge­räumten Halle einer Ingelhei­mer Zimmerei recht kühl war. Unmut zog auch der Prota­gonist auf sich, ein eher bemitlei­dens­werter Sinn­sucher, doch auch eine amerikanische Medienfigur, die sich in den Vor­der­grund schiebt, koste es, was es wol­le, und sei es das eigene Le­ben. Inso­fern hat Treadwell postum bekom­men, was er anstrebte. Komplizierter ist es mit Her­zogs Antrieb, der am Ende des Films Aufnahmen des mutmaß­lichen „Mör­ders“ präsentiert und an­gesichts des ausgehungerten Bären von einem leeren Blick spricht: „Kein Verstehen, keine Gnade, nur die über­wäl­tigende Gleichgültigkeit der Natur.“ Herzogs Credo, an anderer Stelle auf­gezeichnet: „Ich liebe diese Schöpfung wider mein besseres Wissen.“ Noch ein Zitat: „Film ist anders als das ordinäre Leben. In gewissen Momenten, glaube ich, kennt der Film keine Gnade. Es darf keine Gnade geben.“

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