FILMTIPP #73: HIGH NOON VON FRED ZINNEMANN (USA 1952).

Foto: Eckhard Burbach

Wenn das Gespräch auf Western kommt, wird dieser Film oft als einer der ersten genannt; dabei steht er ganz am Rande, wenn nicht außer­halb: ein We­stern ohne die Girlanden, die das pittoreske Genre sonst gerne schmücken. Es fehlen Indianer in Kriegsbemalung, spektakuläre Landschaften, unüber­schau­bar große Büffel- oder Rin­derherden, überdrehte Ritte zu Pferd. Nur der Shoot-out ist noch da und mit ihm die staatspolitische Essenz des We­stern: Wie kann ein Mann sich selbst helfen, wenn der Staat, die Gemein­schaft aller zu schwach ist, um Gerechtigkeit für alle zu schaffen?

Mir fällt dazu reflexartig ein einstiger Latein- und Ethiklehrer ein, der Kants Kate­go­rischen Imperativ wiederholt an diesem überraschen­den Bei­spiel erklärte. Im bayrischen Schulsy­stem, das zur Erklärung, konnte man Ethik statt Religion wählen; in unserer protestantischen Rand­lage ging der Un­ter­schied gen Null. Dem gemeißelten Durchhalte­blick Ga­ry Coo­pers war nun wohl eine Haltung zu entnehmen, die viele Män­ner, nicht nur die­ser Lehrer, aus der Erfah­rung des Krieges für sich entwickelt hatten: Weder vom Staat noch von der Kir­che, aus sich heraus, vom eigenen Gewissen her muss­ten die Werte kommen. Was richtig und gerecht war, hatte man am Ende selbst zu ent­scheiden. Dazu hieß es dann zu stehen, komme beinahe, was wolle.

High Noon macht einem die moralische Entscheidung leicht. Den Verlauf des Films bestimmen hingegen zwei strukturelle Elemente, die dann auch für Emotionen sorgen: die Musik und die Darstellung von Zeit.

Untermalt von lokomotivartigem Vorwärtsdrang der Rhythmussektion singt Tex Ritter zu Beginn den berühmten Song Dimitri Tiomkins, Do not forsake me oh my Darling / On this our wedding day. Dazu sieht man drei Männer, darunter die ein­drucks­voll finstere Miene Lee van Cleefs, die sich ver­sam­melt haben, aber zusammen noch auf etwas warten. Damit ist die Span­nung des Films gesetzt: Gut gegen schlecht, Überzahl gegen einen, der ver­zweifelt um die letzte Hilfe bittet, die ihm noch bleibt: Verlass mich nicht, mein Lieb­ling, aus­ge­rech­net heute, am Tag unserer Hochzeit.

Ein Kirchenglocke ertönt, nun sehen wir das Brautpaar, den zu die­sem Zeit­punkt 50-jährigen Gary Cooper und die 22-jährige Grace Kel­ly, vor dem Friedensrichter beim Jawort: Ein ungleiches Paar, zumal Amy aus einer Quä­kerfamilie kommt und jegliche Gewalt und damit auch das Tun ihres Mannes eigentlich ablehnt. Dass sie diese Ver­pflich­tung später bricht, wird sie noch enger an ihrem Ehemann binden. Gemeinsam erstarkt, werden sie am Ende die Stadt und deren faule Ordnung verlassen.

Der Score Tiomkins, also die orchestrale Begleitung, unterliegt den Bildern fast die Hälfte der Zeit; er nimmt jedes Mal Takt und Melodie in ir­gendeiner Weise auf. Er ist ein Leitmotiv und hier elementar, weil er eine symbolische Funk­tion über­nimmt. Die Musik übersetzt die ideel­le Substanz in Gefühle und schafft den Teppich, auf dem die Gestimmtheiten des Films beruhen, die jede/r nachvollziehen kann: Einsamkeit und die Suche nach Hilfe.

Die zentrale Botschaft ist aber die Pflicht zur Pflichterfüllung. Das betrifft die Funk­tion des Marshalls – das Aufrechterhalten der Ordnung – und das Gelöb­nis der Ehe­frau, dem Mann zur Seite zu stehen. Nicht alle, im Grunde keiner der wehr­haften Bürger von Headleyville denkt genauso; so wird der Film zu ei­nem mo­ral tale, das die Kritik gern in die Nähe des House of Un-American Ac­tivi­ties gerückt hat, die Kommunistenhatz in Hollywood, die Anfang der 50er ihren Höhepunkt erreichte. Man kann in diesem Film tatsächlich noch andere über­ge­ord­nete Fragen diskutiert finden: Staat vs. Individuum, Ge­wal­tenteilung, Gewaltbereitschaft, Zivilcourage, Loyalität und Familiensinn.

Und doch bleibt der Film ein Film und wirkt nicht wie eine trockene Lektion. Zur Melodie kommt der äußere Rhythmus. Erstmals sieht man auf eine Uhr um 10:40 Uhr, dann um 10:50, 10:53, 11:03, 11:05, 11:07, 11:10, 11:15, 11:18 und immer so fort. Auch die Zeit dient zur Orchestrierung der Emotion.

Fred Zinnemann war Moralist in all seinen Filmen. Dazu deutet er in seiner Au­tobiografie lapidar an, dass seine jüdischen Eltern two of six millions ge­wesen seien. Seine europäische Herkunft konnte er nie leugnen. Früh in High Noon erzählt der Friedensrichter ein Gleichnis über korrupte Bürger in der idealen Polis, dem alten Athen. Zinneman sprach diese Erinnerung wohl aus dem Her­zen. Ein “echter Ameri­ka­ner” hätte einen anderen Film gemacht.

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