FILMTIPP #75: AMY VON ASIF KAPADIA (GB 2015).

Bildquelle: Schreenshot

So viel Soul in einer Stimme gab es nicht mehr seit Ella Fitzgerald und Shirley Bassey.Gäbe es kein Foto von Amy Winehouse, würde man sich viel­leicht eine ältere, etwas füllige, dunkelhäutige Sängerin vor­stel­len. Doch Amy war das Kind einer jüdischen Familie aus dem Lon­doner Nor­den. Von klein auf wollte sie Sängerin werden, und so erlebt man in der ersten Sequenz die Geburtsstunde der Performerin auf einem Kin­dergeburtstag. Wenn sie „Happy Birthday“ intoniert, ahnt man den Weg entweder zur großen Karriere oder zum großen Scheitern. Amy Wine­house hat beides geschafft. Am Ende des dokumentarischen Films, der anders ist als die meisten dokumentari­schen Filme, steht der Auftritt im Belgrader Kalemegdan Park, drei Mo­nate vor ihrem Tod, bei dem sie betrunken auf der Bühne herumwankte, sich an Bandmitglieder klam­mer­te und lange einfach dasaß. 20.000 Besucher johl­ten, wollten Musik oder ihr Geld zurück. Und alle zückten irgendwann ihr Handy.

Kapadia hat für seinen Film nachträglich nur Aufnahmen von Locations beigesteuert, meist von Drohnen, deren Bilder aus der Textur des Films herausstechen. Amy wurde lange nach dem Ableben der Sän­gerin im Juli 2011 begonnen. Die Leistung des pakistanisch-britischen Regisseurs besteht darin, durch sorgfältige Recherchen Material zu finden, das an­de­re noch gespeichert hatten, und sich dafür die Rechte zu sichern. Kein einfaches Unterfangen, wenn man sieht, wie schlecht be­son­ders Vater und Ehemann Winehouse am Ende wegkommen. Kapadia filmt also nicht, er kompiliert; er verdich­tet nicht durch den Schnitt, er reiht das Material chronologisch aneinander. Inter­views sind als Voice-over hinterlegt. Das Ganze wird zum Be­richt, dessen Objektivität, soweit es geht, durch Bilder und Zeugen abgesichert ist. Dagegen gibt es keine offene Wertung des Regisseurs: Von seiner Seite kommen lediglich eingeblendete Na­men, Funktionen, Daten und Songtexte.

2001 wird Amy von einem Talentscout entdeckt. Es gibt Probeaufnah­men, bei denen sie schon in jedes hingehaltene Handy spricht. So kann sie noch po­s­tum zur Erzählerin ihres Aufstiegs werden. Die persön­lich­sten Beziehungen gießt sie in Songs. Der Film liefert die Illu­stratio­nen nach, soweit vor­handen. Die Attitüde ist nicht die der Sin­ger-Song­wri­terin, die in der Musik Privates nach außen kehrt; alles wird ver­äußer­licht, trans­formiert in wackelnde, persönliche Bil­der. Für Wine­hou­se gab es keinen Unterschied zwischen on- und off-re­cord. My destructive si­de / Has grown a mile wide heißt es auf ihrem ersten Album.

Von Back to black gibt es einen hinreißenden Take im Studio, in dem Amys Stimme a capella zu hören ist. In der Hand hat sie ihr Handy. Wie für viele Jüngere war das für sie viel mehr als ein Telefon; es diente als Kontakt zur Welt, vor allem wohl als Nachweis, am Geschehen über­haupt teilzunehmen: eine Art Versicherung, auf dieser Welt zu sein.

Ein entscheidender Sprung der Karriere ist der Sprung nach Amerika, das Winehouse mit offenen Armen empfängt, allerdings auch auf jeden Skandal oder Skandalträchtiges anspringt. I told you / I was trouble, singt sie jetzt. Das sollte sich rächen. Mittlerweile verheiratet, begin­nen Experi­men­te mit Crack, Kokain, Heroin. Erste Auftritte ge­hen schief, der Er­folg fordert seinen Tribut. Die Familie drängt darauf, dass sie Ver­pflich­tungen zu Auftritten erfüllt, statt sich nachhaltig um die Gesund­heit zu küm­mern. Dabei gibt es durchaus Schönes: Das Duo für ein Album Tony Bennetts in den Abbey Road Studios, mit einer vor Ehr­furcht fast er­star­renden Amy, gehört zu den wenigen Mo­men­ten, in de­nen eine schüch­ter­ne Seite der Sängerin zum Vorschein kommt. Kurz vor­her war sie fast schon am Ende und wieder das hilflose Kind, im Kreis der Familie, in einem Ressort der Karibik, wo sie sechs ganze Mo­nate bleibt. Auch hier braucht es keine Paparazzi. Die Familie ist ja da.

Ich habe Amy zum ersten Mal in einem winzigen Kino gesehen, zu­sam­men mit etwa anderen 50 Besuchern. Der Film hatte begonnen, als noch einmal vier Zuschauer dazukamen, ein Ehepaar, wie sich heraus­stellte, mit zwei er­wachsenen Söhnen. Gemeinsam nahm man vor mir in der ersten Reihe Platz und be­gann sofort, das von der Leinwand Kom­mende gut hörbar zu kom­men­tieren und zu interpretieren. Zuerst war das ärger­lich. Dann wurde mir klar, dass hier die Geschichte eines Familien­ver­bundes belebt wur­de, emotio­nal und im Abgleich, ob man im ur­sprüng­lichen Zu­sam­menhang auch so oder anders erlebt und wahrge­nom­men habe. Meine Auf­merksamkeit teilte sich fortan zwischen dem, was vorne auf der Lein­wand los war, und eben vor ihr, in der ersten Reihe: eine wundersame Lektion des Kinos, wie ein paar Men­schen über den Um­weg des Mediums und einer medialen Figur zu einer neuen, momen­ta­nen Gemein­sam­keit fanden. Wir Film­freunde haben versucht, eine ähn­li­che Intimität in der einladenden Halle eines Winzerbetriebs herzustellen.

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