FILMTIPP #52: PAPER MOON VON PETER BOGDANOVICH (USA 1973).

Bildquelle: offkino.de

Ein Film aus einer Zeit, als die amerikanische Welt wieder unschuldig sein sollte. Vietnam musste zu Ende gehen, so oder so. Auch Water­gate und Nixon wur­den schließlich über­wunden. Gewürzt mit einer Prise 68er-Naivität und der daraus entstandenen neuen Läs­sigkeit, geht es mit Paper Moon zurück in die 30er Jahre, die ebenfalls als eine Zeit des Aufbruchs gelten.

Der Kleinkriminelle Moses Pray (Ryan O’Neil) reist in einem Ford Model A convertible durch den Mittleren Westen und verkauft Bibeln an Wit­wen, de­nen er erzählt, ihr Mann habe sie kurz vor dem Tod be­stellt. Zu O’Neal, der oft schmalzig bis schmie­rig da­her­kommt, was für diese Rolle prima passt, ge­sellt sich die neunjährige Ad­die (Ta­tum O’Neal). Sie ist durch den Tod ih­rer Mutter gerade ganz allein auf der Welt. Mo­ses trifft das Mädchen auf der Be­er­digung der Mutter; das bringt den Run­ning Gag, dass Moses ihr Va­ter sein könnte. Nach leichten An­laufproblemen ent­wi­ckelt sich eine innige Zweck­be­ziehung, an der das Kind mit allen Mit­teln und final erfolgreich fest­hält.

Vater und Tochter O’Neal bürgen für die passende Chemie im Schauspiel. Alle anderen Erwachsenen spielt das Mädchen an die Wand. Sie ist kei­ne Do­ro­thy, die von Kansas aus auf die andere Seite der Welt muss, son­dern ziel­orien­tiert und nicht zuletzt der bessere Gauner. Bei den Be­trü­gereien und Er­pres­sun­gen des Duos hat Addie im entscheidenden Moment stets die zün­den­de Idee. Sie findet Roose­velt gut. Man sieht ein Kino, das einen John-Ford-Film von 1935 anzeigt: Der New Deal ist in vollem Gange. Die Schwarz­weiß-Ka­mera von Lászlo Kovács orientierte sich entspre­chend an den Ikonen der FSA-Fo­to­grafie. Doch ging es Hollywood weder um sozialen Rea­lis­mus noch um pure Nostalgie, auch wenn der Film in Bild und Score viel dafür tut.

Es ging um’s nackte Überleben. Im Alleingang fand die Paramount als Ver­leih die ret­tende Formel in Konkurrenz mit dem Fernsehen, sinkenden Zu­schauer­zah­len und einer wegdrif­ten­den Jugend. Filme wie The Godfa­ther, The Great Gatsby, Chinatown und Paper Moon, alle im Programm von Pa­ra­mount, kehrten thematisch in goldene Zeiten Ameri­kas zurück und setz­ten dafür noch einmal auf das Handwerk Hollywoods. Das ist im Kern kon­ser­vative Politik, aber keine Ideologie, son­dern in erster Linie Geschäft.

Die großen Gesellschaften wie Paramount, MGM, Warner Bros. und 20th Cen­tury Fox hatten zu diesem Zeitpunkt nicht mehr die Markenidentität, die ein Heer von festangestellten Schauspielern, Regisseuren und Handwerkern über Jahrzehnte ga­ran­tiert hatte. Die Namen gab (und gibt) es im­mer noch, im Hin­ter­grund wir­ken nun aber Medienkonzerne und Investment­gesell­schaf­ten. Auch der Aufbruch von New Hollywood lief von Beginn an in diverse Rich­tun­gen. Die einen machten bildgewaltige, zeitgenössische Filme und wurden als amerikanische Autorenfilmer gefeiert, andere, allen voran Geor­ge Lucas und Steven Spielberg, machten der Jugend zugeneigtes Kino und streb­ten das Format des Blockbusters an, das dann die 80er dominierte.

Ein dritter Strang sind die, deren Stern aufging, um bald wieder zu verglü­hen. Bogdanovich ist so ein Fall, obwohl er gut vorbereitet war. Bevor er ins Re­giefach wech­sel­te, hatte er sich mit Büchern über Howard Hawks, John Ford, Orson Welles und Fritz Lang einen Namen gemacht. Doch das Kino ist eine Kunst, die sich etwa alle zehn Jahre aus sich selbst heraus verpuppt und er­neuert. Solides Handwerk genügt nicht, um an der Spitze zu bleiben: Selbst die alten Meister hatten, im Genre versteckt, zu Fragen ih­rer Zeit Stel­lung bezo­gen. Dazu galt Bogdanovich als allzu egozentrischer Typ.

Dennoch hat er seinen Platz am Rand der Erneuerungsbewegung Holly­woods zu Recht. Wie Diedrich Diederichsen herausgearbeitet hat, wandten sich die Jungen zu Anfang der 70er von allen globalen oder europäischen Themen und Einflüssen ab und suchten stattdessen “den Anarchismus und den Frei­heits­willen von Pionieren und Outlaws”. Ein einsamer Mann ist Moses Pray auch, mehr Trickser freilich als die zornigen Antihelden der Gegenkul­tur.

Fast 50 Jahre ist der Film alt, doch Paper Moon hat sich gut gehalten, weil er eine eigenartige Facette Amerikas konserviert, die wehmütige Erinnerung an den Luna Park – ein verlorenes Paradies, wie es Kinder für sich bewahren. In dem Motiv, das zum Pla­kat für den Film wurde, sitzt Addie in einem Pa­pier­mond auf dem Jahrmarkt. Sie blickt ganz ernst in die Kamera des Fotografen.

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