FILMTIPP #51: M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER VON FRITZ LANG (D 1931).

Bildquelle: medium.com

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Souverän setzte sich Fritz Lang in seinem ersten Tonfilm über vieles hin­weg, was das Sprechtheater dem Film vorgab. Dort gehören gehören in der Regel zu ei­nem Körper, der sichtbar wird. Dagegen wirken die ersten Mi­nu­ten von M wie die Demonstration eines neuen Raums, den erst der Tonfilm zei­gen kann: der akustische Raum. Noch zur schwar­zen Lein­wand hört man den Ab­zähl­reim „Warte, warte nur ein Weilchen / bald kommt der schwarze Mann zu dir / mit einem kleinen Hackebeilchen / macht er Schabe­fleisch aus Dir.“ Kin­der spielen auf einem Berliner Hin­ter­hof, ein Mädchen schließt ab: „Und Du bist raus.“ Raus ist erstmal die Kame­ra; sie absentiert sich auf einen Bal­kon der Mietskaserne. Unten geht das Grauen versprechende Spiel hörbar wei­ter. Gleich sagt die Mutter der kleinen Else zu einer an­deren Mut­ter: „So­lange man se singen hört, da weeß man wenigstens, dasse noch da sind.“

Ein Irrtum, wie sich herausstellt. Denn Else, sehen wir als nächstes, begegnet auf dem Heimweg von der Schule ihrem Mörder. Nun agiert Lang de­mon­stra­tiv mit On und Off. Else wirft ihren Ball ge­gen eine Litfass­säule, die Kamera schwenkt nach oben, zu einem Fahn­dungs­plakat nach ei­nem Kindes­mörder. Das Mädchen bleibt unterhalb des Kame­ra­rah­mens, nur der Ball fliegt noch ins Bild. Auf dem Plakat erscheint der Schat­ten eines Profils, eine hohe Männerstimme spricht aus dem Off: „Du hast aber einen schönen Ball! Wie heißt Du denn?“, und das Kind, eben­falls aus dem Off, antwortet: „Else Beckmann“. Dagegen setzt Lang sonar-opti­sche Zeichen: Das gepfiffene Mo­tiv aus der Peer Gynt-Suite, das spä­ter den Mörder iden­ti­fizieren wird, und den Luftballon, der da­von­fliegt, so wie gleich das Leben des Kindes.

Dann übernimmt in M die Sprache doch wieder den Diskurs, auch wenn Lang immer wie­der mal auf seine Entdeckung hinweist. In Paris de­finierte André Bazin dazu das Hors-champ, das Außerhalb des Bildfeldes, und den Cadre-cache, die zwei Räume des Films: den von der Kamera ge­zeig­ten und den anderen, den sie verbirgt und der doch wichtig werden kann. In Babels­berg de­monstrierte Lang, wie das geht: Ein Sach­ver­ständiger der Poli­zei be­schreibt das vermutete Profil des pathologischen Mörders. Dazu sieht man Peter Lorre in einem Spiegel, vor dem sitzend er zu den Wor­ten des Profilers passende Grimassen vollführt. Die Voice-over geht mehrere Mi­nuten weiter und illustriert Bilder von den Ermittlungen der Kri­po.

Es ist ein Jammer, dass sich im Schreiben über Film das Wört­chen „off“ so flächen­deckend durchgesetzt hat. Hilfreich wäre, für die differen­zier­ten An­wen­dun­gen, wie sie Lang früh vorführte, von einem diegetischen, ei­nem er­zählten Off zu spre­chen. Das wäre der an den Rahmen angrenzende Raum, der, aktiv in den Bildeindruck integriert, das Sichtbare mitbe­stimmt. Das Gegenteil wäre die erzählende Sprecherstimme, auch göttliche Stimme ge­nannt, die wie ein Score nicht aus dem Geschehen heraus, über die Bilder gelegt ist. In unserem Fall wäre von einem Voice-over zu sprechen.

Das Filmmuseum Potsdam hat vor Jahren ein Heft mit den Vorbildern Langs publiziert, barocke Grotesken, Arbeiten des Jugendstil-Meisters Czeschka, die Brueghel-Sammlung des Kunsthistorischen Museums zu Wien. Doch der Kunst wird in Langs Films nicht als Kunst gehuldigt – sie wird zu Zei­chen, die unserem Blick aufstoßen, ihn aus der Erzählung reissen, etwas bedeuten.

In der Erzählung wird M offen brechtisch. Die das Geschehen in der Stadt beherrschen, sind die Ganoven, Zuhälter, Diebe, die Chefs der Unter­welt (unter den Schauspielern die jungen Gustaf Gründgens und Theo Lingen). Vieles darf man hier, doch mit Kindermord will die ehrenwerte Ge­sell­schaft nichts zu tun haben. Die Ordnung müsse wie­der hergestellt wer­den, heißt es, eine Ordnung, die der des Staats frappie­rend ähnelt. Mit der Hilfe der Bettler Ber­lins, ebenfalls vom Kartell organisiert, stellt man den Mörder. Im letz­ten Akt des Films wird ihm der Prozess gemacht. Nun schlägt die große Stun­de des Schauspielers Peter Lorre.

Es ist ein erbärmliches, menschenverachtendes Tribunal, das die Zunft mit dem Kindesmörder veranstaltet. Lorre, beeindruckend mit seinem Ba­sedow­blick, reagiert mit verzweifeltem Winseln um sein Leben. Doch er ist ver­lo­ren, so wie der reale Peter Lorre Deutschland ver­loren ging. Brecht richtete an den aus Deutschland Verjagten und nicht Zurückkehrenden ein Ge­dicht: „Und nichts anderes / kön­nen wir dir bieten / als dass du gebraucht wirst.“

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