FILMTIPP #32: THE DOORS – WHEN YOU’RE STRANGE VON TOM DICILLO (USA 2010). AUF DVD.

Bildquelle: nme.com

Irgendwann standen wir auf dem Friedhof Père Lachaise in Paris, bei Os­car Wilde und Chopin, und, wichtiger für uns, am Grab von Jim Morrison. Eine Spanierin war mit uns da, sie hatte eine Blume für den Sän­ger der Doors da­bei. Sozusagen gesamteuropäisch beklagten wir die he­rum­flat­tern­den Ab­sperrbänder, die Lieblosigkeit, den unwürdigen Verhau rund um das Grab.

Doch vielleicht hat James Douglas Morrison hier nur das bekommen, was ihm viele konservative Ame­ri­ka­ner an den Hals wünschten: War er doch der er­ste, der mit dem aufräumte, was der Schriftsteller Philipp Roth die “Eksta­se der Schein­heiligkeit” genannt hat. “Als ich damals in der Bibel­schu­le war, gab es eine Person, die vorschlug, das man den lieben Gott mit Gebe­ten er­weichen könne. (SCHREI) Man kann den lieben Gott nicht mit Gebeten er­weichen!” (Petition the Lord with Prayer, The Doors in Concert).

Oliver Stones Block­buster The Doors (1991) erzählt den Mythos der Doors. Tom DiCillos When You’re Strange zeigt auf, wer und wie die Doors wa­ren: Wie sie zueinander fanden, wie die Musik entstand, wie sich Morri­son von den drei anderen entfernte, in welche Parallelwelten er floh – am Ende nach Paris, um dort zu sterben. DiCillo, durch skurrile Komö­dien be­kannt geworden, entwickelt seinen Stoff ausschließ­lich an authen­ti­schem Ma­terial. Daher ist sein Film nur 78 Minuten lang geworden, mehr verwend­bare Origi­nalaufnahmen gab es nicht. Was man mit diesem Film erlebt und er­fährt, ist die noch immer ungebrochene, pure Energie der Musik der Doors.

Keine Interviews, kein Retro-Chic, keine Schnörksel. Einzig eingeschleustes Material sind Ausschnitte aus dem Experimentalfilm Hwy von 1969, in dem sich Morrison, der ehemalige Filmstudent, selbst als Drifter durch den ameri­kanischen Westen in Szene setzte. Ein Roadmovie, einst vielleicht die Vision einer existenziellen Alternative für den Getriebe­nen selbst, der vor den Dä­mo­nen in seinem Leben aber nie floh, nie Zuflucht im Mythos des Rockstars suchte. Man er­kennt Morrison gar nicht recht außerhalb des Zirkels der Band. Sieht man dann, wie er einem überfahrenen Fuchs ein Handtuch über den rö­cheln­den Kopf legt, erscheint der Mann mit einem Mal in humanem Licht.
Ansonsten Extravaganz als Show, “exposure”, wie es die Amerikaner nen­nen. Gesten der Rebellion – gegen die Polizei, gegen die Band, und vor allem dauer­haft ge­gen die eigene Familie. Jim erklärt sie für tot. Man liest den legendären Brief mit, in dem der Vater Morrison 1966 den Rat gab, mit der Mu­sik und dem Gesang aufzuhören, Jim fehle jedes Talent in dieser Rich­tung. Mor­rison sr. war zu dieser Zeit der Kommandeur eines Flugzeugträgers, von dem aus Star­fighter in die Kampfgebiete Vietnams starteten. Unmittelbar daran ge­schnitten im Film folgt Jims Frage an ein Konzertpublikum: “Would any­bo­dy like to see me genitals?”

Von solchen Konfrontationen lebt die kollektive Erinnerung an die Zeit. Die Kultur schlug am Ende der 60er Jahre um in die Politisierung der beiden Pop-Medien Film und Musik. Nicht der Film als Korrelat der Wirk­lich­keit, jedoch die Musik zeigte sich von dieser Rolle überfordert. When You’re Stran­ge zeigt nicht zuletzt auf, dass Musik nur als Medium des indivi­duel­len ästhe­ti­schen Pro­testes funktioniert. Kollektiv erlebt, schafft sie Öffent­lich­keit, aber auch einen oft eher stumpfen Konses.

Was bleibt haften? Morrisons Wahn, der Geniales auf den Weg brachte; die zurückhaltenden anderen drei Doors, musikalisch mit ihrem Sänger absolut auf der Höhe; ein Korpus von sechs Platten, der innere Treibstoff der un­ru­hi­gen Band-Biographie wie des Films. Nur 54 Monate gab es die Doors, klärt uns die Voice-over auf, die man unbedingt im Original hören muss: Johnny Depp verlieh seine Stimme als sachlicher, doch absolut involvierter Chronist.

Am 8. Dezember würde Jim Morrison 77 Jahre alt. Was er heute tun würde, muss man sich nicht vorstellen. Mit When You’re Strange ist er unter uns.

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