FILMTIPP #23: PARADISO – SIEBEN TAGE MIT SIEBEN FRAUEN VON RUDOLF THOME (D 2000). AUF DVD.

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Das schönste Bild des Films könnte aus dem Werk von Werner Herzog stammen. Eine Landschafts­to­tale. Von rechts schiebt sich eine längere Reihe von Frauen ins Bild und durchquert es langsam, diagonal nach hinten links in die Tiefe. Jede Frau trägt einen Planztopf auf Kopf oder Schulter. Darin eine junge Pappel. Es folgen Kinder mit Schau­feln, am Ende dann der Protagonist Adam mit einer Schubkarre. Ihm, dem Protagonisten des Films, wurden 60 junge Bäume zu seinem entspre­chen­den Geburtstag geschenkt.

Nun sind wir weder im Dschungel noch einer Wüste, sondern im märkischen Sand. Die Nähe zu Berlin haftet diesem Film jederzeit an; der Men­schen­schlag, der hier porträtiert wird, ist ohne die Hauptstadt des individuellen Lebensgefühls nicht denkbar. Wie bei Herzog gibt es den ‘mode of excess”; anders als bei ihm geht es aber hier nicht um ex­zen­tri­sche, nach außen gerichtete Ausschweifungen. Es gibt vielmehr einen Exzess der Inner­lich­keit. Zwischenmenschliche Gefühle werden nach außen gekehrt, Beziehungen ana­ly­siert, ja seziert. Ein/e jede/r lebt sich maximal aus, ohne dem anderen mög­lichst auf die Füße zu treten oder ihn zu verletzen. Was natürlich überhaupt nicht ausbleibt.

Damit ist Rudolf Thome ein Solitär im Neuen Deutschen Film. Ihm am nächsten ist Wim Wenders, den es aber nach seinen deutschen Anfängen hinaus in die Welt und dann zum Philosophieren gezogen hat. In Paradiso treffen sich Hanns Zischler und Marquard Bohm wieder, Schlüsselfiguren von Wenders’ epochalem Im Lauf der Zeit (s. Filmtipp # 20). Der eine ist nun ein gefeierter Komponist, der andere Bankdirek­tor. Man hat es sich einge­richtet in der Berliner Republik. Zu Beginn schreibt Adams Sohn Billy eine Mail an seinen Ziehvater, den “lieben Joschka”, seinerzeit Außenminister. Die Politik, in diesem Fall der Krieg im Kosovo, ist jedoch weit weg von der Idylle und wird distan­ziert, doch mit emotionaler Anteil­nahme, in der Tagesschau zur Kenntnis genommen.

Die privaten Dramen liegen näher. Etwa jene um die frühere Familie Adams: Eine seiner Frauen, Berenice, war schwanger. Er betrog sie. Sie brachte das Kind, Billy, zur Welt, ließ sich scheiden und ging ins Kloster. Nun ist sie wie­der da – im Ornat, den sie im Lauf des Feierns schon mal mit dem kurzen Kleid tauscht, um Rock’n Roll zu tanzen. Wäre das alles nicht schon schräg genug, hat Thome die Rolle auch noch mit Irm Her­mann besetzt. Schon für Hermanns outrierte Darstel­lung, sogar nur für ihre Stimme, die wie eh und je zwischen kontrolliert und irre schwankt und einst das ganze Rollen­spek­trum zwischen Loriot und Fassbinder abdeckte, lohnt sich der Film.

Die Grundidee der Story: Ein Komponist hat auf sein Anwesen im Brandenburgischen – ins “Paradies” – die sieben wichtigsten Frauen seines Lebens eingeladen, um mit ihnen sieben Tage lang zu feiern. Das ergibt ein buntes, vor allem Adam charakterisierendes Sammel­surium: Da ist die resigniert Gealterte, da ist die sinnliche Halbitalienerin, die immer noch scharf auf Adam ist, da ist die viel zu junge Studentin, da sind die zwei, die ganz ähnlich ausssehen und sich anfreunden. Alle Frauen hassen Adam eine Weile, und dann lieben sie ihn wieder, sagt eine der Ex-Geliebten. Das kann Eva nachvollzie­hen, die derzeitige Frau; sie versucht die Regie des Festes in der Hand und die gemein­samen Kinder bei Laune zu halten. Natürlich ist sie überfordert. Am Ende werden Adam und Eva noch ein Kind machen. So angestrengt, so anstrengend kann Thome sein. Und ein Ärgernis für emanzipierte Frauen, die sich an dieser Fixierung auf den Mann reiben.

Der zentrale Konflikt des Films ist aber nicht der zwischen Männern und Frauen, son­dern der zwischen Vater und Sohn. Der erwachsene Billy ist aufgetaucht, samt Frau und zwei Kindern. Er ist vol­ler Wut, ja Hass auf Adam; er bekennt, ihn am liebsten erschla­gen zu wollen. Im Ansatz tut er das dann, mit einem Ast beim Spaziergehen im Wald. Adam zeigt seine Wun­de fortan wie eine Trophäe. Die Auseinandersetzung mit dem Vater, von Im Lauf der Zeit modellhaft angedeutet, wird hier angegangen. Es ist also nicht nur eine Frage der Generationen in Deutschland. Die Spät-68er von Paradiso legen dar, dass es sich um ein wieder­keh­rendes Thema handelt, über das man neu und in anderer Weise reden könnte. Die Alten müssen den Jungen Plätze überlassen. Die Jun­gen müssen die­se Plätze einfordern. Manchmal wirkt das hier nicht gerade wenig pein­lich. Gemeint ist es aber nur ein­fach, wie jede modellhafte Utopie. Die Kinoleinwand ist das Bild und der Spiegel, in dem wir diese Utopie betrachten können.

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