Die Generalprobe im Stadion am Blumengarten ist uns gelungen. Daher planen wir Freunde Ingelheimer Filmkultur in diesem schwierigen Jahr derzeit zwei weitere Veranstaltungen, das hochpoetische Drama Körper und Seele aus Ungarn und, passend zur US-Präsidentenwahl, die amerikanische Politsatire Vice. Darin spielt der phänomenale Sam Rockwell den, vorsichtig gesagt, suboptimal agierenden US-Präsidenten George W. Bush jr., und Christian Bale, unkenntlich hinter einer aufwendigen Maske, dessen Berater und eben “Vize” Dick Cheney, der im Verborgenen die Zügel der Macht innehielt und die amerikanische Politik um den 11. September herum zu den tollsten Kapriolen trieb. Ein Schelm, wer denkt, das Ganze sei eine Anspielung auf die derzeitige presidency.
Schon in The Big Short (2015) nahm die Truppe um den Regisseur Adam McKay und Steve Carrell eine Säule des US-Establishments satirisch auseinander, damals ergänzt um Ryan Gosling und Brad Pitt. Film ist nicht zuletzt ein Wandler von Ideen. Wollte man diese Funktion der Kunst exemplarisch an einer Schauspielerperson festmachen, käme man an Christian Bale kaum vorbei. Der 1974 in Wales geborene Akteur setzt alles ein, um eine Rolle buchstäblich zu verkörpern. In Vice ist er der gedrungen-rundliche Cheney, ein Wolf im Schafspelz und dem Film nach der gefährlichste Vizepräsident, den die US-Geschichte kennt. Bale agiert äußerlich in der Tradition des Method Acting, die unter anderem einige spektakuläre Gewichtszunahmen verzeichnet, so die legendäre Wandlung von Robert de Niro in Raging Bull (1980). Natürlich geht es auch um Psychologie, Inside-Jokes, Offenlegung.
Mit The Machinist ging Bale ins andere Extrem: Wie etwas später für das wenig bekannte, gleichwohl bedeutende Vietnam-Drama Rescue Dawn (2007, von Werner Herzog) nahm er spektakulär ab. Für Machinist sollen es um die 30 Kilo gewesen sein; Bale besteht hier tatsächlich nur aus Haut und Knochen. Er spielt den Fabrikarbeiter Reznik, der Schuld auf sich geladen hat, die für uns am Ende in leicht enttäuschender Weise aufgelöst wird.
Die Story handelt vom “Maschinisten”, der nicht schlafen kann, der an seinem Arbeitsplatz Mist baut, den ein brutales, zynisches Alter Ego verfolgt, der eine Beziehung zu einer Prostituierten hat und mit einer alleinerziehenden Mutter ausgeht. Deren Sohn hat eine Schlüsselrolle in dem Psychodrama inne. Mit dem Kind übernimmt Reznik auf dem Rummelplatz eine Geisterbahnfahrt, im Film vier Minuten lang, auf der die Figuren und Motive des gesamten Films in billiger Schauermechanik quasi als ‘Schulstunde des Horrors’ zusammen gefasst sind. Plakativ wählt der Junge am Eingang nicht das Tor mit der Aufschrift “Road to Salvation”, sondern den “Highway to Hell”.
Und eine wahre Hölle ist es, in die wir hier sehen: Übrigens nicht Los Angeles, sondern ein ausgeblichenes Barcelona. Die Produktion in Europa war billiger. Wenn Franz Kafka je einen Film geschrieben hätte, wäre es wohl dieser gewesen, schreibt mein Lieblings-Filmstenograph Leonard Maltin. Und wieder einmal ist es nicht die Story, die erschreckt, sondern der Look des Films, genauer: das wandelnde Skelett, über dessen Perspektive wir die hier erscheinende, kaputte Welt mit wahrnehmen. Und weil wir bei den Größen der Weltliteratur sind, möchte ich mit einem Zitat aus “Der Idiot” von Dostojewski schließen, dem Buch, das nebenbei in der Wohnung des Maschinisten herumliegt: “Irgendetwas, das man vielleicht ganz unbewusst, ganz von selbst sieht, das sich aber schwer analysieren oder in Worten ausdrücken lässt, und das, wenn man es auch tausendmal nicht begründen kann, dennoch einen vollkommen in sich abgeschlossenen und unwiderstehlichen Eindruck macht, der ganz unwillkürlich zur vollen Überzeugung auswächst.”
FILMTIPP #24: THE MACHINIST VON BRAD ANDERSON (SPANIEN 2004). AUF DVD UND (GEGEN AUFPREIS) ZU STREAMEN.
Bildquelle: news.at