FILMTIPP #58: THE ARTIST IS PRESENT VON MATTHEW AKERS (USA 2012).

Bildquelle: blog.singulart.com

Nach längerer Exposition startet die eigentliche Erzählung harmlos, in ei­ner Rück­blende. Sechs Monate vor der großen Show. Die prominente und doch zugewandte Gastgeberin hat 30 junge Leute vielerlei Herkunft in ihr Haus im länd­lichen Staat New York eingeladen. Gemeinsam wird gekocht und ge­scherzt. Klar ist aber, dass man nicht zum Vergnügen zusammenge­kom­men ist: Ein gro­ßes Projekt will vorbereitet sein, das 40jährige Jubiläum der Kunst­schaf­fen­den Marina Abra­mo­vić (geb. 1946), ausgerichtet vom Museum of Mo­dern Art. Die Nach­wuchskünstler sind ausge­wählt, um frühere Per­for­man­ces der Künst­le­rin nachzustellen. Abramović’ Stimme ist bereits hier die Voice-over des Films und somit Sinngeberin & Master of Ceremonies.

Es sollen menschliche Stellvertreter agieren an dem Ort, an dem Künstler sonst durch Bil­der oder Skulpturen vertreten werden. Die Retro­spek­tive heißt aber The Ar­tist is present, und das bedeutet: Auch Abramović, in jenem Jahr 63 Jahre alt, sitzt die gesamte Zeit der Schau über jeden Tag auf einem Stuhl; vis-a-vis ein/e Freiwillige/r, immer so lange er/sie je­weils will. Die beiden blicken sich an. Nichts weiter geschieht, außer auf den Ge­sich­tern der Besu­cher. Für Abramović fallen in der Summe 736,5 Stun­den an. Eine un­ge­heu­re Ener­gie­lei­stung der Performerin, ein neues Kapitel in ihrem Werk.

Nach genau einer Stunde Filmzeit nimmt Ulay Platz, der alte Weggefährte, mit dem zusammen Abramovíc legendäre Per­forman­ces ge­stal­tet hat. Von Provokation, Gefährdung von Körpern und Sit­ten ist nichts mehr da. Ulay, gebürtig Frank Uwe Lay­sie­pen (1943-2020), ist nur noch der Ex-Liebhaber und Freund. Von den Kommunikations­pau­sen zwi­schen bei­den, von bösen juristischen Auseinandersetzungen, ist nicht mehr das Gering­ste zu ahnen. Die Ro­man­ze siegt. In der Perfo-Roman­ce laufen bei Marina die Tränen.

“Media Performance Artist” wäre die richtige Bezeichnung für das, was Ulay und Abramović einst zur Reife gebracht haben. Das bedeutet in Kurzform: live und me­dial. Der Live-Anteil war immer provokant im Ausloten dessen, was man sich und seinem/ihrem Körper an Grenzerfahrung zumuten kann: massive Kasteiung, Nacktheit, Gewalt. Ein Teil war auf den me­dia­len Effekt hin ent­worfen, auf Empörung, Entrüstung, min­de­stens Ver­wun­de­rung in größerem Kontext und beim großem Publikum. Und ist damit dem Ki­no nicht mehr fern. Nur der Kontext ist noch ein anderer, hier die Galerie und das “hei­li­ge” Mu­seum, dort der kommerziell-kommunikative Ort.

Ulay und Abramović haben viel von den Wiener Aktionisten gelernt. Ihre eige­nen Aktionen waren aber weniger gesellschaftliche Provoka­tion, eher ein Ausloten der Möglichkeiten, ein Spiel mit sich selbst als Medien, die wie­de­rum als Erscheinung nach außen kommunizieren. Das ist der Schlüs­sel noch für die Aktion The Artist is present. Mal wirkt Abramović hier wie eine Schlange, die ihr Gegenüber hypnotisiert, be­vor sie es verspeist, mal wie­der scheint sie selbst die Emotionen zu haben, die sie beim An­de­ren auslöst: Stau­nen über den zweifelhaften Widerschein der Erfahrung, medial im Mit­tel­punkt zu ste­hen. Mit anderen Worten, die anwesende Künst­lerin ist mehr als ein Spiegel, sie ist ein fleischgewordenes Medium. Und sitzt doch live da.

Die Gruppe um Abramović herum wird als eingeschworenes Kollektiv vorge­führt. Klaus Biesenbach hat eine grauenhafte Aussprache des Engli­schen, was aber zählt: Er ist ein sehr erfolgreich im Museumsgeschäft, sagt klu­ge Dinge über Kunst und beweist nebenbei die Einsicht, dass Kol­lek­tive optimal funktionieren, wenn an jeder Stelle die Per­son steht, die ihren Job am besten kann. Artur Danto, der Philosoph, ist fast sprachlos ob der schein­bar selbst-evi­denten Kunst der Abramovíc. Dafür ist das Mu­seum um­so cle­verer einbe­zogen. Ein wichtigere Rolle als der Philosoph hat der Si­cher­heits­chef des MoMA inne, der jede Gefahr abwehrt, die der Performerin droht.

Das Museum ist, anders als das Kino, der Ort, an dem der Kunst einiges ihrer Attraktivität genommen wird. Paul Va­lé­ry: “Ich liebe Mu­seen nicht sonder­lich. Es gibt viele, die man be­wun­dern kann, es gibt keines, das einem Won­nen schenkte. Was an Vor­stel­lun­gen über Ein- und Zuord­nung, Erhaltung und Nutzen für die All­ge­mein­heit umläuft, ist ein­leuch­tend, hat aber mit Spen­dung von Wonnen nichts zu tun.” Die Ausstellung The Artist is pre­sent widersprach diesem harten Urteil: Sie hat denjenigen unter ihren 750.000 Besuchern, die das wollten, intellektuelle Wonnen verschafft.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert