FILMTIPP #48: JEZEBEL VON WILLIAM WYLER (USA, WARNER BROS. 1938).

Bildquelle: classicmoviefavorites.com

Es gibt einige Versuche, der überirdisch schönen Malkunst des Jan Vermeer (1632-1675) via Film gerecht zu werden. Der skurrilste ist Tim’s Ver­meer (2013), eine Dokumentation über den amerikanischen Mil­lionär und Erfinder Tim Jenison, der sich in den Kopf gesetzt hatte, Vermeers “Musik­stunde” (im Bucking­ham Palace) nachzumalen. Jenison inve­stier­te zwei Jahre und viele Dollars, um am Ende ein tieferes Verständnis von Vermeers Mal­tech­nik und ein per­fektes Fak­simile zu haben. Das histo­ri­sche Setting er­zählte Peter Web­ber mit Girl with a Pearl Earring (2003) nach, konventio­nell, doch ähn­lich unterhaltsam wie der amerika­ni­sche Kauz, der ein neuer Ver­meer sein woll­te. Natürlich errei­chen beide Filme das Ge­nie aus dem 17. Jahr­hun­dert nicht. Sie kom­men durch Ähnlichkeit an das Original heran, doch das er­zielt seine Wir­kung mit der Aura des singulären Bildes. Um “wie Ver­meer” zu sein, muss ein Film ganz eige­ne Bil­der entwickeln. Darum geht es im heutigen Beispiel.

Die Figur der Isebel kommt aus dem Alten Testament, wo sie, eine Prin­zes­sin, so böse ist, dass sie von einem Turm gestürzt und ihre Leiche den Hun­den vor­geworfen wird. Tau­sen­de Jahre später entstand der Film Jezebel, der zum schönsten gehört, was das amerikanische Kino je produziert hat. Für die Sto­ry müssen wenige Worte genügen: Die Südstaaten­schö­ne Julie (Bette Da­vies) ist verlobt mit dem Anwalt Preston (Hen­ry Fon­da). Aber Julie pro­vo­ziert und pro­vo­ziert. Der Gipfel des Ärgers ist er­reicht, als die junge Frau einen Ball durch ein unziemliches, feuerrotes Kleid sprengt. Preston zieht weg und hei­ratet eine andere. Jezebel bereut, büßt und begleitet den Gelieb­ten am Ende freiwillig in den Tod durch eine Fieberepidemie.

Der gesamte Film kreist um Bette Davies (1908-1989). Davies war an­ders als die normale Hollywood-Schönheit. Sie schauspielerte in erster Li­nie mit Au­gen und Augenbrauen, mit denen sie Feinde in die Flucht schlagen konnte. Sie kreiierte den Typus der eigen­sin­nig-widerstän­di­schen Frau, die nur das tat, was sie für richtig hielt. Kaum einer ihrer Film­part­ner bleibt auf Dauer bei ihr. Das Publikum war so faszi­niert wie irri­tiert von Davies’ Erschei­nung. Wer sie liebte, war die Kamera. Es gibt singles in Jeze­bel, in denen so viele einzelne Glanz­punkte gesetzt sind, dass Davies’ Porträt nichts anderes ist als ein schimmern­des Diadem. Der Glanz des klassischen Hol­ly­wood kommt von dieser hand­werk­lichen Qua­lität, die sich einstellte, indem man für jedes De­parte­ment jeweils den oder die Beste des Fachs an­stellte. In unserem Fall wa­ren das der Kame­ramann Ernest Haller und der Komponist Max Steiner; das­selbe gilt für Bühnenbau, Maske, Garderobe und mehr, und für den Regis­seur William Wyler, geboren 1908 im elsäs­si­schen Mul­house. Filme unter Wylers Re­gie er­ran­gen 38 Oscars und waren 127 mal nominiert. Von 1936 bis 1942 trat jedes Jahr ein Wyler Picture im Rennen um den Oscar an.

Es geht fehl, die Kunst Hollywoods nach Regisseuren, also ein­zel­nen Künst­lern und deren persönlichem Stil zu bemessen, wie es An­drew Sar­ris mit seinem “Pantheon” des amerikanischen Films versucht hat. Ein in­teres­santer Vorstoß war, die ar­beits­teilige Herstellung amerika­nischer Fil­me mit dem Bau von Kathe­dra­len zu vergleichen. Das kommt der Sache nä­her, trifft den Kern aber auch nicht in allen Be­langen; insbeson­de­re die Mo­tiva­tion des Pro­du­zenten ist eine andere, kommerzielle. Das Ge­nus pro­xi­mum des klassischen Hollwoodsystems ist die in­dustrielle Marke, wie sie etwa Auto­fabrikanten zu einem über lange Zeit gültigen Image ausbauten.

Danach wären die Cadillacs des amerikanischen Kinos Filme aus dem Hause MGM – am größten, teuersten, schillerndsten, doch selten innovativ; Twen­tieth Century Fox verschrieb sich amerikanischen Themen; Para­mount ver­stand sich als Auffangnetz europäischer Künstler und erfuhr nicht zuletzt durch den Aufstieg der Nazis unverschämtes Glück; War­ner Brothers galt als Spezialist für die Umsetzung technischer Er­findungen in zeit­gebundene und realititätsnahe Straßenfilme (und wollte mit Jezebel einmal wie MGM sein). Es gab weitere kleinere Firmen, die sich ihr eigenes Marktsegment sicherten.

Natürlich sind all dies heute lang­same, in ihren Stereotypen oft unzeitge­mä­ße Erzählungen. Die amerikani­sche Filmgeschichte ist dennoch eine Schatz­truhe des 20. Jahrhunderts. Ihre Juwelen sollte man immer wieder neu betrach­ten; die edelsten Stücke sind Meilensteine der Kulturgeschichte. Es ist ein Jam­mer, wie diese Schätze auf den Streamingplattformen vernach­lässigt wer­den. Und eine Tatsache, dass sie auf dem Tablet an Ausstrahlung verlieren.

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