FILMTIPP #5: HELL OR HIGH WATER VON DAVID MACKENZIE (USA 2016). NETFLIX.

Let us now praise famous men, “lasst uns jetzt berühmte Menschen preisen”, heißt ein Fotobuch aus der Zeit der Großen Depression. Im Mittleren Westen der USA hatten Aber­tausende von kleinen Grundbesitzern ihr Hab und Gut verloren. Als Reaktion ließ die Regie­rung Roosevelt durch die Kamera von Walker Evans und anderen doku­men­tieren, wie diese Menschen trotz allem ihre Würde be­wahr­ten.

Berühmte Menschen preisen, das wäre ein gutes Motto auch für das feine kleine Road­movie, das ich diese Woche empfehle. Der Film ist vier Jahre alt, aber seine Bilder, stel­le ich mir vor, passen genau für das, was sich heute und in naher Zukunft in den USA ab­spie­len wird: Verzweifelte Menschen, die nach jedem Strohhalm greifen, um im ehe­mals reichsten Land der Welt irgendwie zu überleben. Hell or High Water wurde auch als Neowestern bezeichnet, weil zwei Brüder mit dem Auto durchs Land fahren und eine Bank nach der anderen überfallen. Im Western ging es immer da­rum, die schlechten Gesetze (des Staates) durch solche zu ersetzen, die man selber macht. Der Staat, das große Geld, die Industrie: Auf sie baut man ja wohl besser nicht. “Sie be­rau­ben die Banken, die uns 30 Jahre lang beraubt haben”, sagt der Beobach­ter eines Über­falls zu seinem Nachbarn. Daher rührte auch niemand einen Finger, um die Polizei zu rufen.

Tanner (Ben Foster) und Toby (Chris Pine) sind zwei ungleiche Brüder, die sich mögen. Sie finden zusammen, nachdem Toby aus dem Knast nach Hause gekommen ist, um die Schul­den zu begleichen, die auf der geerbten Farm lasten. Dafür überfallen die Brüder stets Filialen der Texas Midland Bank, die ihre Hypotheken einfordert. Tanner ist im­pul­siv und unberechbar, der jüngere Toby einfühlsam und sympathisch, doch auch ge­bro­chen. Er leidet unter einer Trennung und sieht seine beiden Söhne selten.

Dem Brüderpaar steht auf der Seite des Gesetzes ein alternder, kranker Texas Ranger und sein Partner indianischer Abstammung gegenüber, die sich gegenseitig so liebevoll wie hartnäckig befrotzeln. Zwischen diesen vier Männern spielt sich das Drama des Films ab, von dem ich hier nichts weiter verrate. Nach dem bisher Gelesenem könnten Sie einen rei­nen Männerfilm erwarten. Der Erwartung sei widersprochen: Es gibt durchaus harte Szenen, aber abgesehen davon, dass Gewalt Frauen kaum mehr schreckt, möchte ich darauf hinweisen, dass ganz am Ende eine zutiefst humane Geste steht. Die eingangs genannten “Men” verweisen eben auf alle Menschen, nicht bloß auf Männer.

Daher ist der Film auch mehr als eine Schilderung der Situation nach der vorletzten flächen­decken­den Krise in Amerika. Das Finanzdesaster von 2008 ersetzt heute nur ein noch weniger sichtbarer Feind. Der Film Hell or High Water macht deutlich, dass es wie damals weniger um Schuldzuweisungen gehen sollte, sondern um die Haltung, die jede/r Einzeln/e zu dem Desaster einimmt. Dabei gibt es eigentlich auch keine Wahl: Hölle oder Hochwasser, zu deutsch zeitgemäß vielleicht: Pest oder Corona, die Devise ist: Mensch bleiben. Was einem beim Genuß dieses vollkommen unprätentiösen Films durch das Wiedersehen mit Jeff Bridges (der Dude aus The Big Lebowski) und dem Wiederhören der betörenden Songs von Nick Cave ziemlich intensiv nahegelegt wird.

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