FILMTIPP #4: ROCKETMAN VON DEXTER FLETCHER (USA 2019). AMAZON PRIME.

Der Film erschliesst sich von seinem Ende her. Kurz vor den Schlusstiteln sieht man ein Foto von Elton John und seinem Mann David Furnish; das stolze Eltern­paar hält seine Söhne Zachary und Elija in die Kamera. Eine Familienidylle. Im Abspann des Films wird Furnish dann als organisierender Produzent genannt, Elton John als Exe­cu­tive. Die 40 Mio. Dollar, die das Ganze gekostet hat, sind also eine Investi­tion der Familienfirma John-Furnish.

Warum sollte man sich den Film dennoch ansehen? Elton John ist seit nunmehr 25 Jahren brav liiert. Aus dieser Zeit gibt es musikalisch und performativ nichts, was einen noch vom Hocker gerissen hätte. Doch die Zeit davor, beson­ders die frühen Siebziger, und von ihnen erzählt der Film, hatten es in sich. Sie waren, mehr als Glam, Flower Power und Pop alleine, die Ära des Elton John; all das kulmi­nier­te in ihm. Für den Mann selbst waren das schlim­me Jahre, doch der Welt brachten sie all die Hits, die man die ganze Erzäh­lung über mit­summt. Dazu die verrückten Out­fits, die bizar­ren Brillen, das übertriebene Bühnegehabe des artifiziellen “Rocket Man”. In einer wunder­ba­ren Sequenz sitzt das Kind Elton, da noch Reg­gie, am Grund eines Swimmingpools und singt den titel­gebenden Song; als näch­stes taucht der erwachsene Elton aus dem Pool auf, wo er sich ertränkte woll­te; am Ende des Songs zischt er aus einer Konzert­arena auf einer Rakete in den Pop-Him­mel, wo Sir Elton John auf immer einen der besten Plätze innehaben dürfte.

Das ganze Spektaktel ist aber weit mehr als Nostalgie. Vor wenigen Jahren wäre es noch unmöglich gewesen, männlich-homosexuelle Liebe, auf Deutsch: Schwul­sein so entspannt, normal und fröhlich abzubilden. Selbst die schiefgegan­genen Lie­ben werden nicht dämonisiert, wie überhaupt dem Film wenig an echter Psy­cho­lo­gie liegt. Die schwierige Kindheit, der Vater, der sein Kind nicht liebt, die oberfläch­li­che Mutter kommen dermaßen karikiert daher, dass man die Idee, der Mann könn­te seine Extravaganz von hierher haben, schnell verwirft. An Bohemian Rapsody (ebenfalls von Dexter Fletcher) konnte man sehen, wie sehr ein solches Mo­tiv im Mittelpunkt stehen kann, ohne dass es auch nur das geringste zur Es­senz beiträgt, zur Entstehung epochaler Musik. Immerhin deutet Rocketman an, dass Elton lange in seinen kon­genialen Texter Ber­nie Taupin verschossen war. Der aber blieb, da hetero, der platonisch geliebte “Tiny Dancer”.

Die Stärke des Films liegt nicht zuletzt in seinem Desinteresse daran, die Entste­hung der Musik ernsthaft über die Story zu motivieren. Darüber stolperte I walk the Line, der das Subgenre der musikalischen Biographie mit der Figur John­ny Cash vor Jahren neu belebte, genau wie jüngst Ich mach mein Ding zu Udo Lindenberg. Besser machte es zuletzt Yesterday, der die Beatles selbst aus der Erzählung heraus ließ. Auch Bruce Springsteen taucht in dem amüsant-bedenkens­werten Blinded by the Light nicht selbst auf, doch seine Musik rettet ein Leben. Wir zeigen den Film, der die besten Vibrations all der neuen Musical Biopics verströmt, dem derzeitigen Plan nach am 17. September in der Zimmerei Harth.

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