FILMTIPP #118: JEDER SCHREIBT FÜR SICH ALLEIN von Dominik Graf (D 2023). Derzeit in Mainz im Kino!

Bildquelle: NDR

Vor wenigen Tagen saßen wir im Frei­luftkino am Aufsessianum in Bamberg. Der angekündigte Film war weniger unser Thema als das Internat Aufsessia­num selbst, weil hier Das fliegende Klassen­zimmer gedreht worden ist, 1973, mit Blacky Fuchs­berger als Lehrer Dr. Bökh. Meine BegleiterInnen sprachen darüber, als ob sie den Film gestern gesehen hätten. Dann zeigte mir jemand aus dem Team vor Ort noch den Rest eines Schwimm­beckens, das ebenfalls mitspielte. So geht das Wissen um Filme in den Alltag ein. Manche prä­gen unsere Jugend wie auch das Erwachsen­wer­den und -sein.

Kaum bewusst waren uns hingegen die Hinweise, die Dominik Graf in seinem groß­art­igen Do­kumentarfilm Jeder schreibt für sich allein in der Causa Kästner gibt. Graf geht es um den Roman von 1933; als Erzähler seines Films stellt er fest, dass sich im Ver­gleich zu Käst­ners frühen Kinderbuch-Erfolgen Das Fliegende Klassenzim­mer und Pünkt­chen und Anton hier bereits die neue Zeitrechnung andeutet, in der Wort­wahl von “Sturm­angrif­fen” und anderem militärischen Slang “im Krieg” zweier Schu­len, dass es gar Anzeichen von Folterpraxis gibt und eine Art Bücherverbrennung, alles natürlich heruntergebrochen auf die Ebene von Schülerstrei­chen. Daraus wird Grafs große Frage: Wie konnte ein klu­ger Mann wie Kästner nach 1933 in Deutschland bleiben, ohne die Dinge beim echten Namen zu nennen, immer weiter produktiv zu sein, unter Pseudonym für die Filmindustrie zu arbeiten, die doch allein dem Regime diente?

Wie konnten kluge Menschen wie Gottfried Benn, dem Graf ein ähnlich langes Kapi­tel wie Kästner widmet, sich zumindest anfänglich für die Nazis begeistern? In diesen bei­den prominenten Fällen findet Graf gute Antworten weniger in der Evi­denz tatsäch­li­chen Mitmachens als vielmehr im weiteren Verlauf des Lebens und der Posi­tion als Person öffentlichen Interesses. Beide Autoren wurden auch nach 1945 gele­sen, doch selbst konn­ten sie den Ruhm nicht mehr ausschöpfen und genießen; ein Makel schien an ihnen zu haften, wenn vielleicht auch nur in der eigenen Perspektive auf sich selbst.

Jeder schreibt für sich allein ist eine Abhandlung über die Konsequenzen des Schreibens unter der deutschen Diktatur, über Autoren, die dem Regime eher zugewandt waren als konträr zu ihm zu agieren; manche Texte troffen gar vor Begeisterung für die braune Herrschaft. Ist ein Hans Fallada noch ein interessanter, da widersprüch­licher Fall, fragt man sich bei anderen Autoren schon, ob ihre Texte der Mühe über­haupt noch wert seien – und wer die Mühe aufbringe, sie noch einmal durchzugehen. Die Antwort ist: Ana­tol Regnier, Autor des Sachbuchs, das dem Film zugrunde liegt, der uns als Inter­vie­wer und Re­cher­chierender nun auch durch den Film leitet. Man muss diesen fast Acht­zig­jährigen sehen, wie er stets so neugierig wie freundlich mit Graf auf die Zeit­reise geht. Zum Bei­spiel nach Sanary-sur-Mer, in das kleine Hotel und das noch engere Zim­mer Nr. 17, in dem Klaus Mann 1933 seinen berühmten Brief an Gottfried Benn schrieb. Die jüngere, ele­gante Hotelbesitzerin begleitet den späten Besuch aus einer anderen Zeit distanziert-freund­lich, doch Regnier weiss genau um die Dimensionen, um die es hier geht, war sei­ne Mut­ter Pamela Wedekind doch einst mit Klaus Mann verlobt, hatte seine Groß­mutter Til­ly nach dem Tod von Frank Wedekind doch eine lange Liebesbe­zie­hung zu Benn. Graf und Reg­nier sind klug genug, jeden Fall für sich zu betrachten, vor al­lem, wenn die Autoren im Lan­de blieben und reüssier­ten. Sie nehmen uns mit in die konkrete Umgebung, in die Häuser, in die Familien; so findet man Motive, meint Grün­de jedes und jeder Einzelnen zu sehen; so glaubt man am Ende mehr zu verste­hen als man dies mit jeder noch so mi­nu­tiösen germanistischen Abhandlung könn­te. Darin liegt der filmische Wert dieser fast drei Stunden Film, die einem nie zu lang werden.

Zwei Trümpfe hebt sich Graf für das Ende auf. Zum einen ist da Günter Rohrbach, sei­nes Zeichens ein Urgestein deutschen Filmproduzentums, zum anderen aber auch Zeit­zeuge, denn der sagenhaft wache Rohrbach ist Jahrgang 1928. Seine Kommentare ste­chen aus der Gruppe der KommentatorInnen noch einmal heraus, die gute Antworten auf die Fragen nach dem Mittun haben; hier ist vor allem der kluge Florian Illies zu nennen, auch der temperamentvolle Historiker Christoph Stölzl oder die strenge Kriti­kerin Julia Voss. Doch sie sind Nachgeborene, sie kennen, so fasst es Regnier poin­tiert, im Ge­gen­satz zu den historischen Protagonisten den Ausgang und somit die problematische Wahrhaftigkeit des Hitler-Reiches ganz genau.

Das Fazit: Für die Reflektierteren galt es damals wohl mit der Unsicherheit zu leben, ob das alles so richtig sein könne, was da den Deutschen von ihrer eigenen Führung zugemutet wur­de. Viele hegten allerdings keine Zweifel, wie die unsäglichen Autoren Hanns Johst oder Will Ves­per. Letzerer hatte zwei Kinder. Die Tochter führt uns nun im Film noch einmal auf die Spuren ihres Brud­ers, des späteren Autors von Die Reise, Bernward Vesper. Das Roman­fragment gilt als Schlüsseldokument des radi­kalen Flügels der 68er-Bewegung nicht zu­letzt aufgrund der schonungslosen Ausein­ander­setzung mit dem autoritären Vater. Auch die Mutter des gemeinsamen Kindes, Gudrun Ensslin, spielt hier herein.

Film hat die einzigartige Gabe, wie kaum ein anderes Medium in der Tiefe individueller Motive zu schürfen, warum Menschen sich verhalten, wie sie sich verhalten. Für die Zeit der Nazi-Barbarei ist Jeder schreibt für sich allein ein Glücksfall, weil er auf die Seite derer schaut, die mitmachten, statt sich ins mühsame Exil zu begeben. Irgendwann sei ihm klar geworden, sagt Anatol Regnier an einer Stelle, das auch gute Literatur nicht au­toma­tisch auf gute Menschen zurückzuführen sei. So mag man am Ende über eine Ein­sicht grübeln, die von der Protagonistin eines zeitgenössischen Romans formuliert wird: “Wenn ich schlechte Bü­cher lese, wirkt das Schlechte in mich hinein und aus mir heraus. Lese ich gute Bü­cher, wirkt das Gute in mich hinein und aus mir heraus. Wenn ich lüge, ver­krümme ich etwas in mir. Sage ich die Wahrheit, richte ich es wieder auf.” (Daniela Krien, Der Brand)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert