Zwei Filme zur „subjektiven Blindheit“

Was sieht ein annähernd blinder Mensch? Und wie kann solches Sehen durch einen Blick der Filmkamera dargestellt werden? Diesem Problem widmet sich neben unserem diesjährigen Hauptfilm Mein Blind Date mit dem Leben bei Silke Weidenbach und Jürgen Mett auch der Vorfilm 97% – beide Filme allerdings auf sehr unterschiedliche Art und Weise.

Subjektive Kameraführung im Film ist in der Regel dadurch gekennzeichnet, dass sie die Sicht eines bestimmten Protagonisten einnimmt. In Mein Blind Date sieht man den Protagonisten und im nächsten Bild dann (manchmal) seinen Blick auf die Welt, der sehr eingeschränkt ist, weil unser Held eben – fast blind ist.

Das klingt einfacher, als es als Darstellungproblem im Kino in aller Regel erscheint. Gern genutzte Verdeutlichungen von „Subjektivität“ im Kino sind Blicke durch ein Fernrohr oder ein Schlüsselloch, die für das Filmbild „maskiert“ werden mithilfe der entsprechenden Rahmung des Bildes. Allgemein als gescheitert gilt der Versuch, den größten Teil eines Film ausschließlich aus der Sicht eines Protago­nisten zu erzählen; versucht wurde das in Hollywood, inThe Lady in the Lake (1947). Eine andere, früh entwickelte Möglichkeit, die „Subjektivität“ einer Einstellung zu markieren, bestand darin, die Kamera die gleichen „Bewegungen“ machen zu lassen wie einen Protagonisten. Das gibt es bei Harold Lloyd und anderen Slapstick-Artisten. Dabei kann der Eindruck entstehen, der Zuschauer sehe durch die Augen eines Handelnden. Ein Beispiel dafür ist die schockierende Eingangssequenz des ersten Halloween-Teils von 1978. Als Zuschauer kann es einem so durchaus schlecht werden, wenn es man es nämlich nicht schafft, sich auf die Illusion einzulassen. Großartig fand ich dagegen die eingeschränkte Wahrnehmung des Protagonisten des ungarischen Films Son of Saul (2017), der an der Rampe eines Vernichtungs­lagers arbeitet und ob des ganzen Grauens die Augen „verschliesst“; der Film fokussiert den Mann, lässt aber Umgebung und die (durchgehend nackten) Opfer ziemlich im Unscharfen. Von den vielen Versuchen, den Holocaust darzustellen, ist dies für mich der bis dato gelungenste, und außerdem ein gutes Beispiel dafür, wie Filmtechnik im Dienst der Erzählung sinnvoll eingesetzt wird. Mein Blind Date hat einen anderen Anspruch – der Film ist unterhaltsam, humorvoll, und dabei nicht ganz ohne Tiefgang. Ebenso der Vorfilm 97%, der ebenfalls heiter daher kommt, jedoch eine andere, die größte und weitestverbreitete Blindheit unserer Tage ironisch aufs Korn nimmt, die digitale Blindheit. Lassen Sie sich überraschen, Sie kennen das Problem genau und Sie werden sich darüber sicher amüsieren. TM

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